Das Internet der Dinge: Industrie 4.0 – Voraussetzungen und Chancen für die nächste „industrielle Revolution“
von Sven Prawitz
Inhaltsverzeichnis
1 Das Internet der Dinge und dessen Einfluss auf die Gesellschaft 4
2 Grundlegende Begriffe der Digitalisierung im Industriesektor 6
3 Die Entwicklung der industriellen Fertigung 8
3.1 Vom Webstuhl zum Roboter 8
3.2 Die fünf Paradigmen zur Umsetzung von Industrie 4.0 9
3.2.1 Vertikale und horizontale Vernetzung 9
3.2.2 Dezentrale Intelligenz 10
3.2.4 Durchgängig digitales Engineering 10
3.2.5 Cyber-physische Produktionssysteme (CPPS) 10
4 Die Umsetzung von Industrie 4.0 in der Praxis 11
4.1 Die Chancen für Mitarbeiter und Unternehmen 11
4.2 Anwendungsbeispiel vertikale Vernetzung 13
4.3 Anwendungsbeispiel horizontale Vernetzung 13
Abkürzungsverzeichnis
BDE | Betriebsdatenerfassung |
BIP | Bruttoinlandsprodukt |
BMBF | Bundesministerium für Bildung und Forschung |
CAD | computer-aided design |
CIM | computer-integrated manufacturing |
CNC | computerized numerical control |
CPPS | cyber-physisches Produktionssystem |
CPS | cyber-physisches System |
ERP | Enterprise-resource-planning |
IAO | Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation |
IoT | Internet of things |
KMU | Kleine und mittelständische Unternehmen |
MRK | Mensch-Roboter-Kollaboration |
RFID | Radio-frequency identification |
SPS | Speicherprogrammierbare Steuerung |
ABS | Antiblockiersystem |
NC | Numerical control (in Verbindung mit Programm) |
1 Das Internet der Dinge und dessen Einfluss auf die Gesellschaft
1.1 Themenstellung
Die Einführung und Nutzung des Internets hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert und seit den 2000er Jahren die Art und Weise, wie wir kommunizieren sehr stark geprägt. Wir neigen immer mehr dazu, uns mittels soziale Medien zu vernetzen. Über diese Netzwerke erfolgt dann ein Austausch von Neuigkeiten, Bildern und vielen weiteren Informationen. Dabei nutzen wir elektronische Geräte (z. B. Smartphone), um diese Daten zu erzeugen und in die jeweilige Plattform einzustellen. Sehr stark getrieben wird dieses Nutzungsverhalten durch die immer weiter fortschreitende Entwicklung der Technologien und Dienstleistungen in diesem Sektor. Mittlerweile sind neben der persönlichen Kommunikation weitere Lebensbereiche von dieser Entwicklung erfasst, wie z. B. Smart Home oder das autonome Fahrzeug.
Selbstverständlich macht die Vernetzung technischer Geräte auch nicht vor dem produzierenden Gewerbe halt. Durch die Möglichkeit der Kommunikation einzelner Anlagenteile untereinander ergeben sich für die Unternehmen neue Möglichkeiten ihre Fertigung zu steuern. Die Übernahme von IT-Technologie schafft jedoch auch neue Herausforderungen, die alle Mitarbeiter einer Firma betreffen können und die gemeistert werden müssen, um erfolgreich zu sein.
In dieser Arbeit soll erörtert werden, was ein Unternehmen tun muss, um Industrie 4.0 in seinem Produktionsprozess erfolgreich umzusetzen. Ebenso die Frage nach den Potentialen, die sich daraus ergeben können. Hierfür werden der aktuelle Forschungsstand und konkrete Anwendungsfälle aus der Fachliteratur und Fachbeiträgen ausgewertet. Um den Umfang dieser Arbeit einzugrenzen werden nur deutsche Unternehmen der produzierenden Industrie (Automobil, Maschinen- und Anlagenbau) betrachtet.
Das Thema Internet der Dinge und vor allem dessen Teilbereich Industrie 4.0 ist hochaktuell und wird in den Fachmedien und auf Leitmessen der Branche rege diskutiert. So auch auf der Hannover Messe 2016 (Deutsche Messe 2016). Doch bevor auf die Inhalte dieser Diskussion eingegangen werden kann, sollen zunächst die wichtigsten Begriffe erläutert werden. Anschließend wird die historische Entwicklung der Produktion in Deutschland betrachtet. Dies führt uns zum aktuellen Stand der Technik und den notwendigen Voraussetzungen, um Industrie 4.0 umzusetzen.
1.2 Arbeitshypothesen
Folgt man den Diskussionen und der Fachliteratur, sind sich alle Experten einig, dass die Digitalisierung den Produktionssektor ebenso stark verändern wird, wie es in unserem privaten Umfeld der Fall ist. Das Internet der Dinge wird mehr und mehr Realität und der Marketingbegriff Industrie 4.0 hat sich als Oberbegriff für den Paradigmenwechsel in der Industrie, zumindest im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die den Wandel nicht als Revolution einstufen. Ebenso interessant ist, wie die einzelnen Unternehmen, v. a. die kleinen und mittelständischen (KMU) die Theorie in die Praxis umsetzen. Dies führt mich zu meinen Hypothesen:
- Das Internet der Dinge und Industrie 4.0 im Speziellen revolutionieren den Produktionssektor in Deutschland
- Das Thema Industrie 4.0 ist für viele Unternehmer nicht „greifbar“, da es keine Standards und Leitfäden zur Umsetzung gibt
2 Grundlegende Begriffe der Digitalisierung im Industriesektor
2.1 Internet der Dinge
Die zunehmende Vernetzung von Komponenten und Anlagenteilen in der Produktion ermöglicht eine nie dagewesene Digitalisierung der Abläufe. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist das „Internet der Dinge“ bzw. „Internet of things“ (IoT) im englischen Sprachgebrauch. Ende der 90er Jahre gründen Sanja Sarma, David Brock und Kevin Ashton am Massachusetts Institute of Technology (MIT) das Auto-ID Center, um die Anwendung der RFID-Technik (Technik, um Dinge aus der Ferne zu identifizieren (Mattern 2005)) zu erforschen. In diesem Zusammenhang entwickelten sie die Theorie, dass zukünftig alle elektronischen Geräte der Welt vernetzt sind und jedes Objekt, egal ob physikalisch oder virtuell eine eigene Adresse mit zum Objekt gehörenden Daten besitzt (Ashton, Brock, Sarma 2000). Diese Objekte (Dinge) sollen über das Internet vernetzt sein und sind somit von jedem Standort aus ansprechbar. Ebenso sollen die Objekte selbständig Daten untereinander austauschen. Aus diesem Ansatz entstand der Begriff „Internet der Dinge“.
Die Zahl der vernetzten Endgeräte nimmt heute tatsächlich sehr stark zu. Für das Jahr 2020 beläuft sich die Prognose auf ca. 50 Mrd. an das Internet angeschlossene Geräte (Pinnow, Schäfer 2016). Möglich wird dies durch den Einsatz sogenannter „embedded systems“. Das sind kleine integrierte Computer, die dem Geräte eine Identität verleihen oder in komplexerer Ausführung auch aktiv bestimmte Aufgaben erfüllen. Bereits heute sind 90% der knapp 25 Mrd. Computer nicht mehr als PC ausgeführt, sondern als eingebettete Systeme (ARTEMIS 2006). Diese automatisieren Anwendungen in z. B. Waschmaschinen, Herzschrittmachern, ABS und viele mehr. Die immer kleiner und vor allem günstiger werdenden Chips ermöglichen somit eine zunehmende Digitalisierung sehr vieler Anwendungen.
2.2 Industrie 4.0
Der Begriff Industrie 4.0 wurde erstmals 2011 in einem Beitrag der VDI Nachrichten genannt (Kagermann, Lukas, Wahlster 2011) und umfasst den Transformationsprozess der Industrie durch das Internet der Dinge. Die Autoren beschreiben diesen Prozesse als vierte industrielle Revolution und kreierten in Anlehnung an die Software-Nomenklatur den Begriff „Industrie 4.0“. Neu hinzu kommen, durch den Einsatz von „embedded systems“ intelligente Überwachungs- und Entscheidungsprozesse. Damit lassen sich Unternehmen und Wertschöpfungsnetzwerke steuern und optimieren. Die Prozesse werden nicht mehr zentral, sondern vom intelligenten Produkt gesteuert. Damit soll es künftig möglich sein, in Echtzeit Rückmeldungen zu erhalten und genauso unmittelbar Einfluss zu nehmen. Hierfür bedarf es neue Schnittstellen zur Mensch-Maschine-Kommunikation.
Armin Roth definiert Industrie 4.0 wie folgt (Roth 2015):
„Industrie 4.0 umfasst die Vernetzung aller menschlichen und maschinellen Akteure über die komplette Wertschöpfungskette sowie die Digitalisierung und Echtzeitauswertung aller hierfür relevanten Informationen, mit dem Ziel die Prozesse der Wertschöpfung transparenter und effizienter zu gestalten, um mit intelligenten Produkten und Dienstleistungen den Kundennutzen zu optimieren.“
3 Die Entwicklung der industriellen Fertigung
3.1 Vom Webstuhl zum Roboter
Die erste industrielle Revolution begann Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Mechanisierung von Produktionsanlagen (z. B. durch die Dampfmaschine). Daraufhin entwickelten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Henry Ford und Frederick W. Taylor ihre Ideen zur Montagearbeit am Fließband und den Zeit- und Arbeitsstudien. Mit deren Hilfe wurde die industrielle Produktion in den 1920er Jahren enorm rationalisiert. Diese Veränderung wird als zweite industrielle Revolution bezeichnet. Die dritte industrielle Revolution begann in den 1970er Jahren. Durch den vermehrten Einsatz von Elektronik und IT-Systemen konnten Produktionsanlagen automatisiert werden. Diese Anlagen besitzen eine zentrale Steuerung (SPS), die auf Basis von Eingangssignalen definierte Operationen ausführt. Über Ausgangssignale werden Aktoren angesteuert und somit Bewegungen ausgeführt. Die Kommunikation zwischen Bediener und Steuerung erfolgt über eine Mensch-Maschine-Schnittstelle (z. B. ein Computer mit Bildschirm und Tastatur). Dort werden diverse Meldungen ausgegeben und manuell die zu fertigende Produktvariante vorgegeben. Die Anlagenkonzepte, die sich daraus ergeben werden unter dem Begriff „computer-integrated manufacturing“ (CIM) zusammengefasst. Darunter fallen auch bekannte, computergestützte Werkzeuge wie CAD, CNC oder BDE.
Nach und nach wurden manuelle Tätigkeiten von Maschinen übernommen. Zunächst einfache, sich immer wiederholende Abläufe und mit fortschreitender Entwicklung der Steuerungstechnik auch komplexe Tätigkeiten (z. B. durch den Einsatz von Sortier- und Zuführsystemen oder Robotern). Sehr viele Arbeitsplätze entfielen dadurch in der Fertigung, dafür entstanden neue im administrativen Bereich. Denn solche Maschinen müssen konzipiert, angefertigt und im laufenden Betrieb zu betreut werden. Zudem haben sich die Ansprüche an die Produktionsplanung und Materialdisposition durch die gestiegene Ausbringung erhöht. Auch hier ist, im Vergleich zur rein manuellen Fertigung zusätzliches Personal nötig.
Begleitend zu dieser technischen Entwicklung haben sich auch die Methoden in der Produktion weiter entwickelt. Durch das „Lean Management“, das aus dem Toyota Produktionssystem hervorging werden die kompletten Wertschöpfungsprozesse in der industriellen Fertigung auf Verschwendung und unproduktive Handlungen geprüft. Mithilfe dieser Methoden werden die Abläufe in der Produktion effizienter ausgeführt und kapitalbindendes Material in der Logistik minimiert.
3.2 Die fünf Paradigmen zur Umsetzung von Industrie 4.0
Durch den Einsatz digitaler Identitäten für reale Objekte erfolgt ein Brückenschlag zwischen dinglicher und virtueller Welt. Jedes vernetzte Objekt ist somit in beiden Welten existent. Für die Unternehmen bedeutet das, dass sie ihre bekannten Fertigungskonzepte erweitern und an der einen oder anderen Stelle auch ändern müssen. In der Literatur werden fünf zentrale Paradigmen erwähnt, die es für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 benötigt (Siepmann 2015).
3.2.1 Vertikale und horizontale Vernetzung
Die vertikale Vernetzung erfolgt innerhalb des Unternehmens über die einzelnen Hierarchieebenen hinweg. Besonders wichtig hierfür ist die Schaffung von Schnittstellen um verschiedene Komponenten, wie Sensoren, „embedded systems“ oder Planungssysteme anbinden zu können. Somit kann ein Datenaustausch von der Maschine, die die Daten erzeugt bis zur Prozess- und Produktentwicklung und umgekehrt stattfinden. Alle, die an der Produktentstehung beteiligt sind erhalten somit automatisiert wichtige Daten aus den jeweils anderen Bereichen. Es werden aber auch vom Bediener eingepflegte Daten verarbeitet und an die Fertigungsanlage weitergegeben.
Die horizontale Vernetzung erfolgt entlang der Wertschöpfungskette, auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Alle Einflussgrößen entlang der Wertschöpfung können überwacht werden. Auch dieser Prozess ist bidirektional, d. h. der Beobachter wird über Ereignisse in der Lieferkette informiert, steuert diese aber auch durch die Eingabe eigener Parameter.
3.2.2 Dezentrale Intelligenz
Wie oben bereits beschrieben erhält im Internet der Dinge jedes Objekt eine eigene Identität. Das kann durch einen RFID-Chip oder auch einfacher durch einen Barcode erfolgen. Zu dieser Identität sind für das Objekt relevante Daten hinterlegt, mit denen der Produktionsablauf gesteuert wird. Bisher hat man Prozesse standardisiert und versucht Einheiten so zusammenzufassen, dass der Prozess möglichst oft wiederholt werden kann. Der Industrie 4.0-Ansatz sieht vor, dass zu jedem Objekt neu abgefragt wird, welche Aufgaben mit diesem verknüpft sind.
3.2.3 Dezentrale Steuerung
Werden an jedem Prozessschritt die zum Objekt gehörenden Daten abgefragt, erfordert das auch dezentrale Steuerungen. Die Anlagen müssen so flexibel aufgebaut sein, dass sämtliche Produktvarianten gefertigt werden können. Ziel ist hier die Losgröße „1“, d. h. jedes Produkt wird individuell gefertigt. Um dies zu erreichen müssen Produkt und Maschine autonom kommunizieren und dezentral Entscheidungen über den weiteren Produktionsablauf treffen können.
3.2.4 Durchgängig digitales Engineering
Durch die CAD Systeme liegen sämtliche Produktdaten bereits in elektronischer Form vor. Zukünftig werden diese Daten zentral in einem System abliegen, das z.B. automatisch CNC Daten erzeugen und an die Fertigung weiterleiten kann. Auch bei der Planung von Fertigungsanlagen wird auf dieses System zugegriffen, um die zukünftigen Anlagen als Modell zu erstellen und den Fertigungsablauf zu simulieren.
3.2.5 Cyber-physische Produktionssysteme (CPPS)
Die beschriebenen intelligenten bzw. identifizierbaren Objekte erfassen mittels Sensoren physikalische Daten, werten diese aus und stellen sie dann zur Verfügung. Alle Objekte sind zudem untereinander vernetzt. Erfüllt ein Objekt diese Kriterien wird es im Industrie 4.0-Kontext als „cyber-physisches System“ (CPS) bezeichnet. Beispiele hierfür sind einzelne Werkstücke, Produktionsanlagen, Werkzeuge oder Behälter. Arbeiten diese einzelnen CPS im Verbund „miteinander“ und binden den Menschen über entsprechende Schnittstellen ein, spricht man von einem „cyber-physischen Produktionssystem“ (CPPS).
4 Die Umsetzung von Industrie 4.0 in der Praxis
4.1 Die Chancen für Mitarbeiter und Unternehmen
Deutschland ist ein sogenanntes Hochlohnland, zudem liegt der Anteil des produzierenden Gewerbes am BIP bei ca. 25% (Statistisches Bundesamt 2016). Dies führt u. a. dazu, dass eine hohe Kompetenz in Automatisierungstechnik im Automobil- und Maschinenbau vorhanden ist. Dies soll der Ausgangspunkt sein, um bis 2020 ebenfalls Leitanbieter für Industrie 4.0 Produkte zu werden (Kagermann, Lukas, Wahlster 2001). Um dieses Vorhaben zu fördern hat die Bundesregierung das Thema Industrie 4.0 in ihre Hightech-Strategie aufgenommen (BMBF 2014).
Durch die Umsetzung und Anwendung von Industrie 4.0-Technologien ergeben sich für fast alle Unternehmensprozesse Optimierungspotentiale (Roth 2015:6). Für die Produktion ist das eine höhere Individualisierung und eine Flexibilisierung der Abläufe. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass Kunden immer mehr Einfluss in die Produktgestaltung nehmen möchten. Somit werden Produkte individueller, was nach dem heutigen Produktionsablauf höhere Stückkosten verursacht.
Die immer volatiler werdenden Märkte zwingen die Unternehmen dazu ihre Prozesse, vor allem in der Fertigung immer flexibler zu gestalten. Die Vernetzung der CPPS und die Auswertung der zurückfließenden Daten in Echtzeit ermöglicht hier einen raschen Eingriff. Ein drittes Potentialfeld ist die Produktivitätssteigerung. Bereits in der Entwicklungsphase lassen sich mittels 3D-Drucker sehr schnell Prototypen-Werkzeuge erstellen. Mit diesen Werkzeugen lassen sich erste Produktteile aufbauen. Die Erkenntnisse können direkt zur Produkt- und Prozessoptimierung genutzt werden.
Bei laufender Serienfertigung birgt die „predictive maintenance“ großes Potential. Die Schaffler AG bietet z. B. diese vorausschauende Instandhaltung für ihre Produkte an. Damit sollen Produktionsanlagen nicht mehr, wie bisher nach festen Intervallen gewartet werden. Sensordaten ermöglichen es, die Belastung der Verschleißteile über die gesamte Laufzeit zu erfassen. Mit diesen Daten lassen sich der Verschleiß und die restliche Laufzeit berechnen. Somit wird eine Wartung sehr genau planbar. Die Bestellung der Ersatzteile erfolgt erst, wenn diese benötigt werden (Schaeffler AG 2016). Als positiven Nebeneffekt kann man auch jederzeit prüfen, ob die Maschine innerhalb der Spezifikation betrieben wird.
Für die Mitarbeiter in den Produktionshallen wird sich das Arbeitsumfeld durch die neuen Möglichkeiten sehr stark verändern. Es wird neue Formen der Assistenz geben: Beispielsweise durch Mensch-Roboter-Kollaborationen (MRK). Dabei führen Roboter Tätigkeiten aus, die für den Menschen ergonomisch ungünstig sind. Und das am selben Arbeitsplatz, ohne Schutzzaun. Ebenso neu sind visuelle Anzeigen, die dem Mitarbeiter für jeden Arbeitsschritt Hinweise zur Abfolge oder Qualitätssicherung geben. Im Moment geschieht dies in der Industrie hauptsächlich über fest installierte Bildschirme. Zukünftig werden hier verstärkt mobile Endgeräte (z. B. Smartphone, Datenbrille) zum Einsatz kommen. Mit diesen Geräten ließe sich auch die Dokumentation einzelner Prozessschritte papierlos und automatisiert abwickeln. In der Vereinfachung der Dokumentation von Daten und Vorgängen sehen Unternehmer ein sehr großes Potential von Industrie 4.0 für ihre Branche: 47,0 Prozent Zustimmung. Eine Qualitätssteigerung der Dokumente erfolgt ebenso (55,2% Zustimmung). Die Unternehmer erhoffen sich auch, dass sie durch bessere Informationen ihr Personal flexibler einplanen und einsetzen können (Spath 2013).
Durch diesen Paradigmenwandel in der Industrie werden sich, sobald diese etabliert sind neue Geschäftsmodelle entwickeln. Audi plant bereits im Jahr 2020 die Hälfte des Umsatzes durch IT, Software und darauf basierenden Dienstleistungen zu erwirtschaften.
4.2 Anwendungsbeispiel vertikale Vernetzung
Für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 müssen die Unternehmen es schaffen, in Ihren Produktionsabläufen cyber-physische Produktionssysteme zu etablieren. Konkret kann dieses Ziel erreicht werden, wenn jedes Objekt (Produkt, Maschine, Sensor etc.) eine eigene Identität durch den Einsatz von Minicomputern bzw. RFID-Chips oder Barcodes erhält und der Informationsaustausch dieser Objekte mit cloudbasierten Diensten verknüpft wird. Anwendungsbeispiele gibt es bereits einige. So hat z. B. die Siemens AG ihr Elektronikwerk in Amberg in den vergangenen Jahren sukzessiv auf Industrie 4.0-Technologien umgestellt (Büttner, Brück 2014). Die Zentrale aller Aktivitäten bildet die (Cloud-)Software „Teamcenter“, in der sämtliche Daten zusammengeführt werden. Sämtliche Produktdaten werden von den Entwicklern direkt in diesem Tool abgelegt, dass das „Backbone“ (Rückgrat) aller Datenströme bildet. Aus den Stücklisten und Layouts generiert diese Software direkt die zur Fertigung erforderlichen NC-Programme und überträgt diese an die Fertigungsmaschinen. Der Verantwortliche in der Produktion wird über dieses neue NC-Programm informiert und aufgefordert einen Fertigungsversuch durchzuführen. Ist dieser Versuch erfolgreich, werden die Ergebnisse in Teamcenter archiviert und das Programm für die Serienfertigung freigegeben. Jedes Werkstück bei Siemens besitzt entweder einen Barcode oder einen RFID-Chip mit einer individuellen Nummer. So können die jeweiligen Werkstücke eindeutig identifiziert und die richtigen NC-Programme zugeordnet werden. Für diesen Vorgang waren bisher Dokumente in Papier und eine Diskette notwendig, um alle Vorgänge zu dokumentieren und das Programm auf die Fertigungsmaschine einzuspielen.
So ist bei Siemens eine vertikale Integration aller Beteiligten von der Produktentstehung bis zum Fertigteil gewährleistet. Wichtig ist dabei, dass es eine gemeinsame Datenbasis und Terminologie für die Produktentwicklung und das Produktionsengineering gibt.
4.3 Anwendungsbeispiel horizontale Vernetzung
Ein Beispiel für die horizontale Vernetzung ist das neue Logistikkonzept des Audi-Werkes in Ingolstadt. Bis 2013 mussten sich ankommende LKW-Fahrer an der LKW-Leitstelle des Werkes melden. Dort wurden die Lieferscheine geprüft, das ankommende Material im System gebucht und dem Fahrer eine Entladerampe zugewiesen. Dieser Prozess war nicht nur zeitaufwändig sondern auch anfällig gegenüber Änderungen im vereinbarten Fahrplan, z. B. durch Verkehrsstörungen usw. Dadurch konnten in der Warenannahme vorhandene Kapazitäten nicht genutzt werden und die Produktion hatte das Risiko, dass Material nicht rechtzeitig eintrifft.
Durch das neue Logistikkonzept können Ressourcen besser geplant werden, da ein steter Datenaustausch zwischen Lieferant, LKW und Werkslogistik stattfindet. Zu diesem Zweck hat jeder LKW-Fahrer ein Mobiltelefon mit einer speziellen App. Über GPS wird der Standort der Waren jederzeit ermittelt. Um das Werk herum gibt es fest definierte Zonen in Radien von 50, 20 und einem Kilometer. Tritt der LKW in eine Zonen ein, werden automatisch definiert Prozesse angestoßen. Dieser Ablauf wird „Geofencing“ genannt. Ist der Transport 50 km vom Werk entfernt, wird die Ankunftszeit errechnet und bereits die zur Entladung notwendigen Kapazitäten eingeplant. Ab einem Kilometer Entfernung werden die Lieferscheine automatisch ins System gebucht. Der Fahrer bekommt per App eine Entladerampe zugewiesen und kann das Werkstor direkt passieren (Roth 2016).
Dieser „Smart Logistics“-Prozess ist bei Audi ein wichtiger Baustein für die Realisierung der „Smart Factory“.
5 Fazit
Zwei Fragen standen im Mittelpunkt dieser Arbeit: Revolutioniert das Internet der Dinge den Produktionssektor und inwieweit überfordert das die Unternehmer.
Das Merkmal einer Revolution ist die Ablösung des Bisherigen durch etwas grundsätzlich Neues. Dies geschieht abrupt und in kurzer Zeit (Weiß 2004). In der aktuellen Entwicklung kommen immer mehr vernetzte IT-Systeme in den Produktionshallen zum Einsatz. Einige assistieren dem Mitarbeiter und helfen den Arbeitsplatz ergonomischer zu gestalten oder die Fehlerquote zu senken. Andere wiederum erzeugen Daten, die einmal analysiert helfen die Abläufe zu optimieren und somit effizienter zu gestalten. All diese Technologien helfen, die Produktivität in einer automatisierten Fertigung und Logistik zu steigern. Eine Grundsätzliche Veränderung findet jedoch nicht statt. Vielmehr wird durch die Digitalisierung der Automatisierungsgrad weiter erhöht. Die seit den 1970er Jahren eingeführten Konzepte, die dem CIM-Ansatz folgen werden somit erweitert und verbessert. Auch neue Geschäftsmodelle sind in der Industrie bisher nicht nennenswert zu erkennen. Neue Dienstleistungen und Innovationen werden noch immer von IT-Unternehmen auf den Markt gebracht. Daher kann man heute nicht von einer vierten industriellen Revolution sprechen.
Es gibt einige Industrie 4.0-Technologien, die das Potential haben, Fertigungsabläufe zu revolutionieren. Der 3D-Druck könnte es zukünftig erlauben, dass ein Unternehmen jedes Produktteil in jeder Fabrik auf der Welt herstellen kann. Produktspezifische Produktionsanlagen, die nur ein Produkt und dessen Varianten herstellen können wären dann nicht mehr notwendig.
Die in dieser Arbeit aufgeführten Beispiele für Industrie 4.0-Technologien sind relativ kostspielig. Das liegt daran, dass Investitionen hierfür zusätzlich zum eigentlichen Produktionsmittel nötig sind. Die Kernaufgabe einer Maschine, die Herstellung von Produktteilen ist auch ohne Internet der Dinge notwendig. Vielmehr geht es darum durch die neuen technischen Möglichkeiten die Produktion effizienter zu gestalten. Viele Unternehmen, darunter vor allem die KMU sind von diesen Potentialen noch nicht überzeugt. Sie scheuen diese zusätzlichen Ausgaben. Aus meiner Sicht ist das größte Hindernis das mangelnde Verständnis, wie eine Umfrage des Fraunhofer IAO zeigt. Nur knapp 16 Prozent der befragten Entscheider gaben an, die Bedeutung des Begriffs „cyber-physische Systeme“ wäre Ihnen vollständig bekannt (Spath 2013).
Im Moment fehlt es an griffigen Beispielen, die für möglichst viele Betriebe anwendbar wären. Die vorbeugende Instandhaltung ist hier eine Ausnahme, weshalb sich diese Anwendung wohl als erstes flächendeckend durchsetzen wird. Um die fünf Paradigmen in einer Wertschöpfungskette abzubilden reicht es nicht, einen Katalog aufzuschlagen und die Produkte „xy“ zu kaufen. Jeder Betrieb ist anders aufgestellt und die Produktionsabläufe sind höchst individuell und selten vergleichbar. Daher braucht es Berater für die Umsetzung von Industrie 4.0. Diese analysieren die Abläufe über einen längeren Zeitraum und erstellen dann auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene Lösungen und einen Umsetzungsplan.
Die Fallbeispiele in dieser Arbeit sind ausnahmslos von Großunternehmen, die sowohl personelle als auch finanzielle Ressourcen haben, um solche Projekte anzugehen. Daran sieht man, dass es den KMU schwer fällt in diese Thematik einzusteigen und zu investieren.
Literaturverzeichnis
ARTEMIS Industry Association (Hg.) (2006): ARTEMIS Strategic research agenda. Eindhoven
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2014): Die neue Hightech-Strategie – Innovationen für Deutschland. Berlin, S. 16
BÜTTNER, Karl-Heinz / BRÜCK, Ulrich (2014): Use Case Industrie 4.0 im Siemens Elektronikwerk Amberg, in: BAUERNHANSL, Thomas /TEN HOMPEL, Michael / VOGEL-HEUSER, Birgit (Hg.), Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik. Wiesbaden, S. 122-144
Deutsche Messe (2016): Hannover Messe boomt mit Industrie 4.0 und Partnerland USA http://www.hannovermesse.de/de/messe/daten-fakten/after-show-report/abschlussbericht/ (zuletzt abgerufen am 10.06.2016)
KAGERMANN, Henning / LUKAS, Wolf-Dieter / WAHLSTER, Wolfgang (2011): Industrie 4.0: Mit dem Internet der Dinge auf dem Weg zur 4. industriellen Revolution http://www.ingenieur.de/Themen/Produktion/Industrie-40-Mit-Internet-Dinge-Weg-4-industriellen-Revolution (zuletzt abgerufen am 10.06.2016)
MATTERN, Friedemann (2005): Die technische Basis für das Internet der Dinge, in: FLEISCH, Elgar / MATTERN, Friedemann (Hg.), Das Internet der Dinge. Berlin, S. 55
PINNOW, Carsten / SCHÄFER, Stephan (2015): Industrie 4.0 – (R)Evolution für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Berlin
ROTH, Armin (2015): Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0. Berlin
ROTH, Lutz (2016): Die Logistik wird smart – Audi führt den selbststeuernden Anlieferprozess im Werk Ingolstadt ein, in: GÖPFERT, Ingrid (Hg.), Logistik der Zukunft. Wiesbaden, S. 233ff
SARMA, Sanjay / BROCK, David L. / ASHTON, Kevin (2000): The networked physical world. Auto-ID Center white paper. Cambridge, MA, USA.
Schaeffler AG (2016): Publikumsmagnet Predictive maintenance 4.0 http://www.schaeffler.de/content.schaeffler.de/de/events/hannover_messe/hannover_messe.jsp (zuletzt abgerufen am 10.06.2016)
SIEPMANN, David (2015): Industrie 4.0 – Grundlagen und Gesamtzusammenhang, in: ROTH, Armin (Hg.), Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0. Berlin, S. 16-34.
SIEPMANN, David (2015): Industrie 4.0 – Fünf zentrale Paradigmen, in: ROTH, Armin (Hg.), Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0. Berlin, S. 35-46.
SPATH, Dieter (Hg.) (2013): Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0. Stuttgart
Statistisches Bundesamt (2016): Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/05/PD16_171_811.html (zuletzt abgerufen am 10.06.2016)
WEIß, Ulrich (2004): Revolution, in: NOHLEN, Dieter (Hg.), Lexikon der Politik, Bd. 7: Politische Begriffe. Berlin, S. 563