T. C. Boyle – América: In die Fresse der Gesellschaft

T. C. Boyle – América: In die Fresse der Gesellschaft
T. C. Boyles Roman „América“.

Wie ein Schlag mitten in die Fresse: So beginnt nicht nur Boyles Roman, so wirken auch die unterschiedlichen Lebenswelten, die er in diesem kartiert.

Im reichen Kalifornien (fünftgrößte Wirtschaftsleistung der Welt) entstehen in América Lebensumstände, die nicht gegensätzlicher sein könnten: Die gutsituierten Bürger flüchten in die kargen Berge um Los Angeles, um dem Moloch und all seiner dunklen Gestalten zu entfliehen. In weißen, klimatisierten Villen mit Pool und verkehrsarmen Stichstraßen haben die Bewohner kaum etwas zu befürchten. Trotzdem sind sie beseelt von den Gedanken, illegaler Einwanderer würden ihr geordnetes Leben bedrohen.

Mauern entstehen durch Angst

Sich gegenseitig Angst vor dem Unbekannten einreden, eigene Überzeugungen verlieren, Mauern bauen um illegale Einwanderer abzuhalten. All das klingt nach den USA der späten 2010er Jahre. Doch Boyle schrieb seinen Roman bereits 1995.

Mit einer bildhaften Sprache führt Boyle den Leser launig durch seine Episoden. Stück für Stück, manchmal fast unbemerkt arbeitet er sich an der liberalen Gesellschaft Kaliforniens ab. Das politische Stimmungsbild entspricht dabei ziemlich dem, das man seit einigen Jahren in den Nachrichten über die USA vermittelt bekommt. Im Zeitraffer radikalisiert Boyle seine Protagonisten, ohne dabei durch die Geschichte zu hetzen. Der Autor nimmt sich Zeit, seziert die entscheidenden Szenen und spart nicht an Härte gegenüber seinen Figuren.

Etwas Nostalgie

Durch den enormen technischen Fortschritt der vergangenen 20 Jahre hat der Roman bisweilen etwas Nostalgie: In den Alltagsszenen fehlt das heute allgegenwärtige Smartphone; Autos haben kein Navi und natürlich fehlt das Internet. So findet die Geschichte draußen statt, in den rauhen, lebensfeindlichen Hügeln Südkaliforniens.

Die angsteinflößenden Gefahren sind Geschichten, die bewusst eingesetzt ein unglaublich starkes Narrativ bilden. Es mäandert durch unsere Nervenbahnen und zersetzt dort unsere humanistischen Fundamente. Doch die Gesetze der Natur sind stärker als jedes Fundament und als jede Mauer.

So bekommt der Leser eine fesselnde Geschichte, die zum nachdenken anregt. Ein einziges Ereignis kann unser Leben verändern; oder sind es doch wir selbst, die unsere Prinzipien über Bord werfen?

 

Das Buch wurde mir im Buchladen Dreizehneinhalb empfohlen.

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